Kopfputz

von Christof Stückelberger

Hans Heinrich Sulzer zum Adler, Impfpionier und Menschenfreund

Es ist wahr!
Hans Heinrich Sulzer und sein Schwager müssen sich tatsächlich 1776 vor dem Gemeinderat verantworten, weil ihre Frauen beim Nicht-Kirchgang einen «modernen Kopfputz» getragen haben. Ein paar Jahre vorher wird Hans Heinrich sogar einmal gebüsst, weil er in der Kirche trendige Manschetten trägt. Das muss beengend sein für den weltgewandten Arzt. 

Der Impfpionier
Hans Heinrich Sulzer (1735 – 1814) studiert Medizin in Tübingen und Naturkunde und Naturgeschichte in Strassburg. Er lässt sich in Winterthur nieder, wo er wie sein Grossvater zum Stadtarzt ernannt wird. Er ist medizinischen Neuerungen gegenüber sehr aufgeschlossen und leistet Pionierarbeit mit der Pockenimpfung. Es gelingt ihm mit der Methode der Variolation die Kindersterblichkeit in Winterthur deutlich zu reduzieren. Bei der Variolation, auch Inokulation genannt, werden eingetrocknete Borken von menschlichen Pockenpusteln über den Nasenweg auf Gesunde übertragen. Die dann folgende Krankheit verläuft meist harmloser und verleiht trotzdem Immunität. Im schlimmen Pockenjahr 1763 impft er zum ersten Mal 17 Kinder, wovon eines nach langer Zeit wegen einem Geschwür am Bein stirbt. Währenddessen sterben 92 ungeimpfte Winterthurer Kinder an den Pocken.

Skeptischen Eltern antwortete Sulzer: «Stirbt das Kind nach dem ordinären Lauf an den Pocken, so wird man sagen: Hättet ihr euch dieses Hülfsmittels bedient, so wäre seine Rettung wohl 50mal wahrscheinlicher gewesen. Da ihr es aber in der 50mal grösseren Gefahr gelassen, so fällt die Schuld des Todes auf euch, weil ihr nicht das Gewissere dem Ungewisseren vorgezogen.»

Der Naturwissenschaftler
Sulzer leistet auch Bedeutendes in der Insektenkunde, quasi als Hobby: 1761 erscheint sein Werk Kennzeichen der Insekten. 1776, also im «Kopfputz-Jahr», folgt seine zweibändige Abgekürzte Geschichte der Insekten.

Sulzer beschäftigt sich auch mit Fragen des Landbaus: Er gibt in Winterthur den Anstoss zur Anpflanzung von Kartoffeln und macht Versuche, Felder mit Gips zu düngen. Er legt eine Baumschule zur Veredlung von Obstsorten an, pflanzt exotische Hölzer an und experimentiert mit der Seidenraupen- und Bienenzucht.

Der Menschenfreund
Sulzer sorgt in den Krisenjahren um die Französische Revolution für einen Hilfsfond für die notleidende Bevölkerung. Er gründet einen Fond, der jungen Handwerksburschen die Gründung eines eigenen Geschäfts ermöglicht. Er arbeitet entscheidend bei der Entwicklung von Lehrplänen mit, da ihm die Verbesserung der Schulen am Herzen liegt.

Hans Heinrich Sulzer führt ein reiches, produktives Leben und betreibt seine Arztpraxis bis ins hohe Alter. In der Gedenkrede eines Arztkollegen werden seine ungewöhnlich schnelle und richtige Diagnosis, die pünktliche Zubereitung der Arzneien und die gewissenhafte Treue und Sorgfalt gegenüber seinen Patienten gelobt. 

Quelle: Urs Leo Gantenbein, Schwitzkur und Angstschweiss (Praktische Medizin in Winterthur seit 1300), 1996, Chronos Verlag Zürich

Christof Stückelberger

*1963, zeichnet Cartoons und Karikaturen für diverse Publikationen und seine Arbeiten waren schon mehrfach in der Alten Kaserne zu sehen. Er lebt mit seiner Familie in Winterthur und unterrichtet Bildnerisches Gestalten an der Sekundarschule in Töss.

www.stueckelberger.ch

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